Hilfe, ich bin Sanktpaulitisiert!

Ourghs. Beim ersten Mal, als ich diesen Monat bei meinen Grosseltern in Rahlstedt Blumengiessen war, dachte ich noch, dass es Zufall war. Nun passierte es mir gestern aber erneut, sobald ich in Wandsbek ankam.
Ich dachte fortan, auf einem CDU – Parteitag zu sein. Oder ersatzweise zwischen lauter Schillwählern zu stehen bzw. sitzen. Wobei der Unterschied sowieso eher marginal sein dürfte.
Immerhin war es ja Ole von Beust, der Schill in die Regierung geholt hat, der mit ihm eine zweijährige Koalition eingegangen ist. Eine Koalition, welche auch nicht an seiner unsäglichen Bundestagsrede zerbrach, bei der er – offenbar allen Ernstes – den Einsatz eines Killergases, an welchem in Moskau gerade ein paar hundert Theaterbesucher abgekratzt waren auch für Hamburg forderte.

Ob dieses Gefühl, zwischen lauter Duckmäusern zu stehen/sitzen nun Täuschung oder aber Realität war, vermag ich nicht zu sagen. Mir fiel lediglich auf, dass sich meine Laune schlagartig verschlechterte, sobald ich in Wandsbek ausstieg und erst wieder besser wurde, als ich in Rahlstedt dann endlich die Wohnungstür hinter mir schliessen und zurück in meine „Sankt Paulianische Scheinwelt“(?) flüchten konnte.

Was im Raum östlich der Alster für ein Personenschlag herumzulaufen scheint, kennt man ansonsten nur aus schlechten Comedyfilmen:
Lauter Püppchen in weissen Jäckchen, mit Jil Sander- Tüten bepappt und um ihren Pelzmantel besorgt. Wenigstens weiss ich jetzt, wie ein Bentley aussieht.

Im proppevollen Bus und in der ebenso vollen Bahn blieb jeweils ein Platz leer – der neben mir. Die mitfahrenden Rentner standen lieber. Schlapphut auf, Blick starr geradeaus.
Jetzt weiss ich, wieso die Partei, welche bisher nichts positives erreicht hat, bei der nächsten Wahl mit der absoluten Mehrheit rechnen kann. Wieso die Partei, welche im sozialen Bereich alles kaputtgesparrt oder auch gleich ganz geschlossen hat, was auch nur den Anschein von Menschlichkeit erwecken könnte so erfolgreich von Hamburgs einzigen Verlagshaus so promoted wird. Naja, ist nicht Hamburgs einziges, da gibt es noch eines in der Altonaer Griegstrasse, aber das erreicht gerade einmal 20 Prozent der Hamburger Bevölkerung. Dieses einzige Verlagshaus, welches auch einen nicht unerheblichen Anteil an Hamburgs Radiostationen hält, will sich jetzt allen Ernstes auch noch Hamburgs einzigen Fernsehsender einkaufen – in Hamburg 1 also. Hamburgs einzigen freien Fernsehsender? Ja, tatsächlich, der freie Sender (Radio und TV), welcher zuvor über 15 Jahre senden als „Offener Kanal Hamburg“ senden durfte, wurde ja vor kurzem seitens der Regierung verboten. Hamburgs einziges freies Radio, das Freie Sender- Kombinat, wurde kürzlich polizeilicherseits gestürmt, die weitere Ausstrahlung einer Sendung mit Zwangsmitteln unterbunden.

Und dann bloss so tun, als hätte man nicht mitbekommen, dass die Monatskarte für Sozialhilfeempfänger gerade um weit über 100 Prozent teurer geworden ist – denn das Sozialticket wurde ja am Jahresende abgeschafft und die danach folgende CC-Karte kostet mal eben mindestens das doppelte.
Ist schliesslich besser so, dann ist man eher wieder unter sich, und muss es nicht ertragen, dass womöglich zuviele Sozialhilfeempänger neben einem im Bus sitzen.
Das dürfte dann wohl der Grund dafür sein, dass die Auslastung der Sitzplätze in Bus und Bahn seitdem sprunghaft angestiegen ist – denn seit kurzem sitzt scheinbar nicht mehr auf jedem zweiten Sitzplatz eine Einkaufstüte („Könnte ihre Tüte bitte aufstehen, ich würde mich gerne hinsetzen?“), sondern tatsächlich ein menschliches Wesen – oder aber halt der Schosshund.
Ferner fiel mir auf, dass es scheinbar etwas völlig abwegiges sein muss, dem auf jeder Rolltreppe stehenden Hinweis „Links gehen, rechts stehen“ zu folgen – ich bin mehr wie einmal in den Rücken einer plötzlich abruppt stehenbleibenden Person gelaufen, die mich dann auch noch anpöbelte, bloss weil ich mich normal auf einer Rolltreppe verhalten habe.

Ich glaube, wenn einem in Wandsbek jemand ausraubt, so kriegt das keine andere Person mit. Bloss nicht irgendwo bei jemanden anderes einmischen, Duckmäusertum par excelance. Zu beobachten wunderbar, als bei Minus 10 Grad ein eigentlich nur still dasitzender Mensch aus dem Bahnhof rausgeschmissen wurde. Man lies diese brutal auftretenden „Sicherheits“leute einfach gewähren, ohne jeden Wiederspruch.

Es scheint normal zu sein, wenn man am nächsten Tag in der Zeitung liest, wie viele hundert Leute in Deutschland diesen Winter schon wieder erfroren sind. Pardon, stimmt. Ich vergass es, sowas liest man ja nicht in der Zeitung, zumindest nicht in Hamburg. Das würde ja den offen ausgetragenen Wahlkampf eines Verlagshauses (welches mag das bloss sein, davon gibt es in Hamburg ja auch nur noch zwei, soviel zur „Medienstadt“ bzw. „Medienvielfalt“ in Hamburg) zugunsten eines „konservativen“ Bürgermeisters stören.
Warum ich das „konservativ“ in Anführungszeichen gesetzt habe? Naja, das könnte damit zusammenhängen, dass ja in keinster Weise der zuvor errichtete soziale Standard in Hamburg erhalten, also konserviert wurde.
Etablierte und in der Nachbarschaft durchaus beliebte Projekte mussten ja weichen – Drogenkrankenhaus, Bauwagenplatz, Spritzstube – damit man etwas „erfolgreiches“ bei der Wandsbeker Bevölkerung vorzuweisen hat… Es ist sicherlich kein Zufall, wie diese Partei jedesmal in St.Pauli abschneidet – zählt es doch bereits als CDU – Erfolg, wenn diese Partei die 10 – Prozentmarke überschreitet.

Ja, vorweisen kann man seitens der Politik wirklich viel, wenn es um Einschränkungen geht. Jedenfalls, bis es auch die eigenen Wähler treffen könnte.
Die Bekämpfung der Schwarzarbeit soll verstärkt werden. Finde ich super, vielleicht bekomme ich dann ja auch endlich mal wieder einen Job, der den Mindestlohn von 8,35 EUR überschreitet, und muss dann nicht mehr dem Staat auf der Tasche liegen. Tja, wie soll man mit diesem Mindestlohn, bei dem man letztlich dann natürlich nur etwa die Hälfte erhält, auch seine Miete selber bezahlen? Die Miete ist ja höher wie das zu verdienende Gehalt…
Ich frage mich jedoch, warum die Bekämpfung der Schwarzarbeit dort aufhören soll, wo es die eigenen Wähler treffen könnte – bei den Putzfrauen etc. wird nicht stärker die Schwarzarbeit bekämpft, da soll es eine Ordnungswiedrigkeit bleiben, die nicht bekämpft wird – in ganz Berlin soll es laut offiziellen Statistiken genau 5 (in Worten: Fünf) Putzfrauen geben. Es stellt sich die Frage, wer dann die ganzen (leerstehenden?) Bürogebäude reinigt…

Nun, zurück zu den auf einer Bank sitzenden Menschen, den der „Sicherheitsdienst“ aus dem Bahnhof beseitigt hat – ja, beseitigt ist für deren Vorgehen wohl das passendste Wort…: Es stellte sich mir dabei unweigerlich die Frage, wohin er denn danach gegangen sein mag – sind doch auch grosse Teile der eigentlich öffentlichen Innenstadt mitlerweile privatisiert, so dass man demzufolge grosse Teile der Innenstadt mal eben zur demonstrationsfreien Zone erklären kann – wie es der Präsident des Einzelhandelsverbandes am vergangenen Wochenende forderte – als wenn das nicht bereits der Fall gewesen war.
Wann gab es denn die letzte senatskritische Demonstration im Innenstadtbereich?! Ich kann mich nicht mehr dran erinnern.

Meine Laune bessert sich jetzt übrigens so langsam wieder. Ich befinde mich nämlich jetzt wieder im weltoffenen Teil von Hamburg. In dem Teil von Hamburg, wo zwar durch die vielen Touristen der Döner 3,20 EUR kostet (in Wandsbek kostete der eigentlich überall lediglich 2,50 EUR), aber wo man dafür noch menschlich mit Menschen umzugehen in der Lage scheint.
Und nachher geh ich auf die Reeperbahn Touristen gucken. Oder vielleicht doch Wandsbeker – das Volk,bei dem man bei Auswärtsspielen zumeist von – ich sprech es jetzt besser nicht aus – spricht.