Morgendliche Bahnfahrten oder über die Einfallslosigkeit der Eltern bei der Vornamenssuche ihrer männlichen Nachkommen

Gleichermassen nett ist es auch, sich an einem (momentan leider eher nicht vorhandenem) sommerlichen Samstagabend irgendwo auf die Reeperbahn zu stellen und sich die vorbeiziehenden Leute mal genauer anzusehen. Ich mein, das Wort Proll ist ja hinreichend definiert, aber was da teilweise an einem vorbeizieht, besser könnte man es bald schon nicht mehr beschreiben. Irgendwelche 16- jährige, die sich unheimlich erwachsen vorkommen und zwischen Cabrios mit Pinneberger Kennzeichen herumwuseln, deren Mitfahrer „stilecht“ auf der hinten befindlichen Hutablage 😉 Platz genommen haben, dazu voll aufgedrehte Musik aus den unten befindlichen Videos, einfach nur köstlich anzusehen.
Generation Techno oder boum boum quitsch scratch at it’s best.
Siehe nur das, was bei jenem Video als Background gewählt wurde. Sind das nicht richtig geil prollig aussehende, so richtig typische Reeperbahn-Samstagabend- Pinneberger Vorstadthonks? Einfach nur grandios.

Andere kriegen es bezahlt, dass sie sich sowas während der Arbeit in irgendwelchen Industriehallen anhören. Die heutige Jugend hört sich sowas dann in ihrer Freizeit an. Ich glaub, ich nehm mal meinen Toilettengang akkustisch auf, ist ungefähr das musikalische Erlebnis, was dem nahekommt…

Apropo Toilettengang – auch von denen, man achte besonders auf den wirklich ausgefeilten Text:

Danke, keine weiteren Fragen, wie es zum ver-„ey digger“n kommt.

Da mag ich noch so spießig sein, aber dann hör ich mir doch lieber jenes oder änliches an, das ist dann doch eher was, mit dem ich mich identifizieren könnte, nicht zwingend wegen dem Musikstil, aber irgendwie bin ich wohl noch nicht dumpf genug, um mich mit „ey digger“ oder dem besungenem Anmachspruch mit dem schönstem Arschgesicht anzufreunden, ist irgendwie nicht meine Welt. Wie so vieles nicht meine Welt ist, was da draussen stattfindet.

Da werden von der Hamburger Innenbehörde Menschen nach Afghanistan abgeschoben (wenigstens diesbezüglich ist Hamburg europaweit führend), und noch während man das hört, schneien neue Berichte aus dem Kriegsgebiet herein. Wie war das noch, es wird nicht in Kriegsgebiete abgeschoben? Na, herzlichen Dank auch.
Da hilft es auch nichts, wenn jetzt in den Koalitionsverhandlungen zwischen denen, die einstmals die rechtsreaktionäre Schillpartei in Regierungsverhandlung hoben und den einen Kriegseinsatz befürwortenden Grünen davon gesprochen wird, das weiterhin keine Afghanen abgeschoben werden. Mich stört da das „weiterhin“- zu Zeiten, als der Krieg dort deutlich stärker wütete, hat man es getan.

Aber kommen wir zurück zu ey digger und ey digger (der andere). Es ist mir immer wieder eine Freude, das Gesicht solcher Leute anzusehen, wenn man sich etwas unkonventionell beim ey digger angesprochen fühlt, als einziger im komplettem Abteil, wo diese Anrede passen würde eigentlich ja auch kein Wunder. Na gut, bricht die Konvention, betreten auf den Boden oder an die Betonwand zu starren, während man mit der Bahn fährt. Aber das übertreten „normaler“ Konventionen ist man als Autist sowieso gewöhnt, und das man mit Sachen aneckt, ebenso. Da ist es ungemein entspannend, erleichternd, doch auch mal ganz bewusst anzuecken, und sei es auch nur mit etwas so dramatischem wie dem Umstand, dass man eben nicht auf den Boden oder an die vorbeihuschende Betonwand schaut, sondern ganz im Gegenteil, seine Mitmenschen beobachtet und aktiv an ihren Gesprächen teilnimmt. Irgendwie sind die Hamburger (wie das in anderen Städten aussieht, weiß ich nicht) diesbezüglich ziemlich verklemmt. Da kommt es ja schon einem Affront gleich, wenn man nicht auf den Boden oder in sein Boulevardschundblatt schaut, sondern sich einfach mal die Leute anschaut, die da mit einem in der Bahn sitzen. Diesbezüglich wünsche ich mir die Offenheit, mit denen in einigen anderen Ländern die morgendliche Fahrt zur Arbeit zu einem kommunikativen Treffpunkt wird, man kommt ins Gespräch, tauscht sich über dies und jenes aus, und steigt eben aus, wenn man angekommen ist. Bis dahin herscht ein ziemliches Gebrabbel vor, alles ziemlich spannend. Erleben durfte ich das mal in der Türkei, als ich mich einfach mal in einen örtlichen Stadtbus gesetzt habe und einige Stationen mitgefahren bin, einfach herlich.

Es ist für mich in manchen Situationen ziemlich schwer, anderen Menschen ins Gesicht zu schauen, wenn dieses von mir erwartet wird („Das macht man so“- ich nicht!). geschweige denn an einem Smalltalkgespräch teilzunehmen. Das ist etwas, was ich regelrecht trainieren muß, wie andere Vokabeln lernen müssen, beobachte ich eben andere in ihrem Verhalten. Andererseits scheint es anderen in anderen Momenten schwer zu fallen, den Leuten ins Gesicht zu schauen, ein Gespräch zu führen, irgendwas anderes zu tun als „Lass mich in Ruhe, ich muss jetzt meine Zeitung zum Schutz vor mein Gesicht halten“ zu signalisieren.

Andererseits hätte ich auch Probleme, eben mit diesen Leuten sowas wie nen kurzes Gespräch zwischen Ein- und Aussteigen zu führen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich das überhaupt wirklich wollen würde. Leuten, die angespannt den Kopf in Richtung Fenster drehen (obwohl es da nichts als die Tunnelwand zu sehen gibt), Leute, die Arschgesichtsmusik anhören- wenn ich mit diesen „ganz normalen Menschen“ sowas wie Smalltalk halten müsste. In solchen Momenten bin ich froh, mich als Aspie damit abgefunden zu haben, nicht über solche Belanglosigkeiten nachzudenken (sondern euch damit zuzutexten).

Ich bin mir noch nicht ganz im klaren darüber, welche Personengruppe ich amüsanter finde – die Erwachsenen, die krampfhaft versuchen, dem gegenübersitzenden Menschen in den Bahnen nicht anzusehen, oder aber den Jugendlichen, die sich Musik anhören, die einem mit einem „Du hast das schönste Arschgesicht“ berieseln und sich gegenseitig mit ey digger anreden.
Vielleicht fehlt mir aber dafür auch nur die Fähigkeit zur sozialen Kommunikation.

In diesem Sinne – machts gut, ihr Arschgesichter.