„Wochenendrebellen“ – Filmkritik aus der Sicht eines autistischen Fußballfans

Gleich vorab: Wochenendrebellen“ ist ein absolut großartiger Film, und zwar gleich in vielerlei Hinsicht, und hat nur ganz wenige, sehr kleine Schwächen, die für die Qualität des Films aber keine Rolle spielen. Warum diese keine Rolle spielen, schreibe ich später.
Und das dieser Film grandios ist, schreibe ich euch als autistischer Fußballfan – der allerdings seinen Verein bereits seit mehr als 30 Jahren gefunden hat – oder eigentlich gar nicht finden musste, denn bei mir war es der Verein aus der Stadt, aus der ich komme. Und nein, der Verein aus dem Speckgürtel war damals für mich aus vielerlei Gründen keine Alternative. In die Wiege gelegt wurde mir dieser Verein allerdings auch nicht, denn ich bin in meiner Familie der einzige wirkliche Fußballfan.

Ich habe diesen wunderbaren Film nun bereits zum zweiten Mal gesehen. Und er wurde dadurch noch besser. Den Autisten unter euch empfehle ich aber unbedingt, dass ihr euch bei den Dingen, mit denen ihr Probleme habt, beim Kinobesuch schützt. Sei es durch das Verwenden von Gehörschutz oder durch die Mitnahme von Stimming-Tools(?) oder dergleichen. Die Darstellung dessen, wie der autistische Jason Situationen wahrnimmt, ist für mich eines der Highlights des Films – aber eben (auch) für Nichtautisten gemacht, und dadurch wirklich sehr deutlich (aber nicht übertrieben)!

Nehmt euch ein Getränk eurer Wahl und legt euch Knabberzeug bereit – denn eines kann ich als Autist leider nicht sonderlich gut: mich bei Dingen, von denen ich begeistert bin und die mich interessieren, kurzfassen. 😉 Wer sich nicht dafür interessiert, wie ich selbst diesen Film erlebt habe, sondern nur, wie ich den Film finde, scrollt also vielleicht direkt bis etwa zur Mitte dieses relativ langen Artikels

Das erste Mal sah ich „Wochenendrebellen“ am Tag der Deutschland-Premiere am 28. September im Hamburger Holi-Kino im Rahmen der von millernton.de und FC St. Pauli organisierten „St. Pauli“- Aufführung im Holi 1. Im verlinkten Artikel findet ihr auch reichlich Hintergrund-Infos zum Film, die setze ich beim Lesen meiner Filmrezension als bekannt voraus, und werde ich daher hier im Artikel nicht mehr großartig wiederholen. Lest also gerne auch deren Kritik vorab einmal durch.

Das zweite Mal sah ich Wochenendrebellen dann am 03. Oktober im Rahmen eines Besuchs meiner in Schleswig-Holstein lebenden Mutter, die ich bereits einige Monate nicht mehr gesehen hatte. Wir fuhren hierfür beide stilecht und passend zum Film per Bahn in eine mittelgroße Stadt nördlich von Hamburg (Bad Segeberg), die etwa auf halber Wegstrecke zwischen ihrem und meinem Wohnort liegt, und sahen uns den Film dann gemeinsam im Cine Planet 5 im Saal CP 3 an.

Meiner Rezension (jaja, die kommt ja noch, ich hatte euch doch anfangs gesagt, ihr sollt euch Verpflegung hinstellen!) voranstellen möchte ich auch noch, dass ich die realen Wochenendrebellen (also nicht die Schauspieler, sondern den realen Jason und Mirko von Juterczenka) bereits seit über zehn Jahren zum einen von einigen Treffen kenne und deren Blog „Die Wochenendrebellen“ von Anbeginn verfolge, bzw. den beiden gerade in der Anfangszeit auch ein wenig aus meiner autistischen Innenperspektive erzählte bzw. im Blog entsprechend kommentierte, in der Hoffnung, der Familie dadurch einige Tipps geben zu können, was Verhaltensweisen von Jason für eine Ursache bzw. Auslöser haben könnten. Ebenso las ich natürlich deren erstes Buch „Wir Wochenendrebellen“, welches letztlich den Grund bildete, warum es diesen Film überhaupt nun gibt.

Ich bin also vermutlich nicht ganz neutral in den Wochenendrebellen-Film hinein gegangen, denn dass der Film keine Vollkatastrophe sein würde, war mir aufgrund der zuvor mit denen gemachten Erfahrungen klar. Aber der Film ist nicht nur keine Vollkatastrophe, er ist einfach grandios!
Und zwar sowohl für Personen, die bisher noch keinen Kontakt zum Thema Fußball und/oder Autismus hatten, als auch für Leute, die entweder mit einem oder sogar beiden Themenbereichen persönliche Verbindungen haben. Und irgendwie ist es auch ein klasse Familienfilm, der von den üblichen Spannungen berichtet, die es wohl in jeder Familie gibt – und berichtet in humorvoller Weise, wie sie aufgelöst wurden.

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Ich bin kein Kino-Gänger. Das Setting eines Kino-Saals ist nicht das Setting, in dem ich entspannt einen Film schauen kann. Zu viel Werbung vorab, zu viel herumgeknister mit Popcorn-Tüten von den Nachbar-Sitzen, zu viel herumgeflüster und allgemein zu viel von allem. Zu laute Filmdialoge, durch die große Leinwand zu große Lichteffekte und einfach zu viele Menschen um mich herum, die an für mich nicht passenden Stellen lachen oder sonstige Reaktionen zeigen, während des Films aufstehen, um auf Klo zu gehen, kurzum, kein Ort, an dem ich in einen Film einsinken kann. Der letzte Film, den ich zuvor in einem Kino gesehen hatte, war „Titanic“ – das war deutlich vor meiner Autismus-Diagnose (2009), aber (logischerweise) schon damals eher schwierig von den Bedingungen im Kino – wisst ihr Bescheid. 😉

Entsprechend hibbelig und aufgeregt war ich nun vor dem Ansehen von Wochenendrebellen, denn das war ein Film, den ich definitiv im Kino ansehen wollte – und zwar so bald wie möglich. Ich meine, wann kommt denn schon mal ein Film ins Kino, der sich mit einem wesentlichen Teil meines Lebens beschäftigt – dem Fußballfan-sein? Und dann auch noch einen wesentlichen Bestandteil meiner Persönlichkeit thematisiert, nämlich dem Autist-Sein, auch wenn natürlich jeder Autist dennoch in sich anders ist? Aber so ein paar grundsätzliche Dinge – die haben dann eben doch viele Autisten gemeinsam. Und dann auch noch ein Film, der das Leben von zwei mir schon länger mehr oder weniger bekannten Personen cineastisch behandelt? Was für eine unfassbar geniale Kombination ist das denn?! Ein Muss, den im Kino zu sehen, trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten, die für mich ein Kino-Besuch darstellt.

Ein wenig unsicher war ich mir, ob ich diese Rezension hier in diesen FC St. Pauli-Blog schreiben sollte, oder doch lieber „nebenan“ in meinen eher privaten Weblog, wo ich in der Kategorie „Autistische Gedanken bzw. Aspies Welt“ früher bereits einige Texte zum Thema Autismus niederschrieb. Zuletzt diente das Weblog nebenan allerdings nur noch als für mich selbst bequem durchsuchbares Archiv meiner bei Twitter abgesetzten Tweets – aber seit Twitter die API ohne Bezahlung abgeschaltet hat, wird es selbst dafür nicht mehr verwendet. Es liegt also weitestgehend brach – und erzeugt entsprechend wenig Aufmerksamkeit.
Aber da dieser Kinofilm so viel mehr Aufmerksamkeit verdient, habe ich mich entschlossen, dieses FC St. Pauli-Blog für meine Rezension zu verwenden. Und zudem erreiche ich hier zumindest die Fußball – Bubble deutlich eher als nebenan im Blog. Allerdings möchte ich euch einen meiner Artikel „nebenan“ ans Herz legen, den ich bereits Anfang 2013 schrieb, und in dem ich schildere, wie ich als Autist den Besuch in einem ausverkauften Fußballstadion, mitten im Stehplatzblock der Fankurve (Mitte Stehplatz Südkurve, Millerntor), erlebe: Autistisches Temperaturempfinden, über das Schwitzen und das Alleinsein in einem ausverkauften Fußballstadion. Der Artikel tauchte zuletzt häufiger wieder in den Seitenstatistiken auf, ich denke, das könnte auch mit dem jetzt besprochenen Film zusammen hängen. 😉 Anzumerken ist, dass der Artikel wie gesagt bereits 2013 entstand und seitdem nicht mehr überarbeitet wurde. Heute empfinde ich einige Dinge anders, und gehe auch mit einigen Situationen anders um, aber er bietet dennoch einen gewissen Einblick in meine Stadionbesuche als Autist.

Ebenfalls unsicher hinsichtlich meines Kino-Besuchs war ich mir, ob ich die gedankliche Trennung zwischen den mir bekannten Personen und den Schauspielern, die diese letztlich im Film darstellen hinbekommen würde. Das klappte aber unerwartet gut. In der nach der Film-Premiere im Holi durchgeführten Fragerunde, bei der auch die beiden Wochenendrebellen anwesend waren war daher meine Frage dann auch, wie es sich für die beiden denn anfühlt, da quasi ihr eigenes Leben auf einer Leinwand zu sehen – aber nicht sich selbst, sondern „nur“ durch wirklich großartige Schauspieler nacherzählt, was ja nochmal eine Stufe mehr ist, als die meiner Position des immer nur von außen teilnehmenden Zuschauers. Jason meinte, dadurch, dass es so großartige Schauspieler waren, sei das mitunter schon ein wenig cringe, weil die Schauspieler die Szenen in einer Perfektion nachspielten, dass er beim ansehen des Films sich wieder in die damalige Zeit und die damaligen Situation zurück versetzt fühlte und dann erneut wütend auf „Papsi“ sei. Andererseits gäbe es aber ja auch sehr viele schöne Erinnerungen, die auf diese Weise wieder hoch kommen würden.

Im Folgenden möchte ich euch schildern, wie einzelne Szenen auf mich wirkten. Ich berichte auch, ob ich als Autist vielleicht bereits ähnliche Eindrücke/Erlebnisse hatte bzw. wo ich dabei Parallelen zwischen den im Film zu sehenden Eindrücken von Jason und mir machen könnte. Und ich erzähle natürlich auch, was ich am Film gut und vielleicht auch nicht ganz so gelungen fand. Und ganz nebenbei gehe ich hierbei auch auf die beiden Kinos ein, in denen ich diesen Film sah, denn auch das könnte eine Rolle dabei gespielt haben, wie mir der Film am jeweiligen Ort gefiel, bzw. für wie autismusgeeignet ich das entsprechende Kino einschätze – was ja vielleicht für dein ein oder anderen hier in der Gegend lebenden potenziellen Filmbesucher auch von Interesse sein könnte.

Autismus-Eignung vom Holi-Kino (Hamburg)

Das Holi-Kino empfand ich an dem Abend als relativ gut autismus-geeignet, jedenfalls, was mich und meine Bedürfnisse angeht. Es ist verkehrsgünstig quasi direkt an der U-Bahn-Haltestelle Hoheluftbrücke gelegen, und zwar nicht direkt an der vielbefahrenen, lauten Hoheluftchaussee bzw. Grindelberg, sondern davon rechts abgehend in der Straße Schlankreye, in der es zumindest abends relativ wenig Fahrzeugverkehr gab. Das bot den Vorteil, dass ich nicht bereits völlig überreizt am Kino ankam – zudem konnte ich mich vorher in einen rechts vom Kino befindlichen Hauseingang zurückziehen und mich von der (kurzen) Anreise erholen. Interessanterweise liefen da dann gleich mehrere Personen an mir vorbei in Richtung Kino, die offensichtlich Stimming-Tools mit sich trugen. Da fühlte ich mich gleich nicht mehr so „exotisch“ mit meinem Noppenball. 😉

Kinosaal. Zu sehen das Holi-Kino in Hamburg, Saal Holi 1 am Tag der Premiere von Wochenendrebellen. Weißes, unaufdringliches Licht.
Beleuchtungs-Situation im Holi-Kino, Saal Holi 1.
Im Vorraum des Kinos war es dann nochmal ein wenig wühlig, und ich erkannte leider erst relativ spät, dass das nicht die Schlange für den Kinosaal war, in der ich stand, sondern die für die Kasse – die meisten hatten scheinbar keine im Smartphone hinterlegte Eintrittskarte so wie ich. Hier wären Hinweisschilder oder mit „Kasse“ und „Kinosäle“ beschriftete abgetrennte Gangbereiche vielleicht hilfreich gewesen und hätten mir das wühlige anstehen in der für mich falschen Schlange ersparen können. Der Saal Holi 1 war dann auch schnell gefunden, angenehm beleuchtet und in einer angenehmen Größe (also nicht so klein wie ein Heimkino, aber eben auch nicht so riesig wie in den größeren Kinokomplexen des Cinemaxx-Konzerns). Neben mir unterhielten sich einige Personen über möglicherweise angelassene Öfen, über das wohnen in Rostock ohne Hansa Rostock und dergleichen und raschelten dabei mit ihren Essen etc. herum – und mir schwahnte bereits böses… Aber während des Films war das dann doch wieder ok. Als relativ angenehm empfand ich, dass vor dem Filmstart keine Werbung lief. Ob das im Holi generell so ist oder an der millernton-Aufführung lag weiß ich nun allerdings nicht – aber es half mir jedenfalls ungemein, meine Reizschwelle niedrig zu halten.
Weniger hilfreich war dagegen, dass (zumindest an meinem Platz – D13) der Film-Ton irgendwie doppelt zu hören war, zeitversetzt vielleicht um eine viertel Sekunde. Nicht so sehr versetzt, dass man nichts mehr verstehen konnte, aber doch für mich noch deutlich wahrnehmbar. War seltsam und ich gewöhnte mich daran erst im Laufe des Films. Handies waren keine zu hören und aufgestanden wurde während des Films auch nicht. So gesehen eine durchaus nette Kino-Erfahrung, die mir Mut machte, den Film auch noch mal mit meiner Mutter und meinem Bruder sehen zu können/wollen, ohne jetzt erst einmal wieder eine 25-jährige Kinopause einlegen zu wollen. 😉

Autismus-Eignung vom Cine Planet 5 (Bad Segeberg)

Das Cine Planet 5 in Bad Segeberg bekommt von mir keine Empfehlung als autismus-geeignet. Und das, obwohl es eigentlich ein eher kleines, nicht überlaufendes und zudem familiengeführtes Kino ist. Und das liegt in meinem Fall hauptsächlich an der Ausschilderung des Kinos, der Art der Beleuchtung (grelle rote und blaue Lampen an der Decke) und auch daran, dass vor dem eigentlichen Film über 15 Minuten Werbung gezeigt wurde. Die Ausschilderung war insofern schlecht, weil wir, die vom Bahnhof kamen zwar wussten, dass das Kino hinter dem Kaufland sein würde, aber als wir am Kaufland vorbei waren erst einmal vor einer oberirdischen Auto-Garage standen. An deren Wänden waren Plakate mit dem Namen des Kinos und dem Hinweis, dass dies der Parkplatz des Kinos sei. Wir gingen also durch dieses oberirdische Parkhaus in Richtung des zu sehenden Kinos bis zu einer Treppe, welche uns vermeintlich nach unten auf die Höhe des Kinos bringen sollte- allerdings war die Ausgangstür am Ende der Treppe in Richtung des Kinos dann geschlossen. Hinter dieser geschlossenen Ausgangstür gab es dann eine weitere Treppe, wo uns dann (offenbar) Kinobesucher entgegen kamen. Es war offenbar nur von der obersten Ebene des Parkhauses aus möglich, zum Kino zu gelangen – auf erster Ebene war man umzäunt und von einer geschlossenen Tür vom Kino getrennt. Etwas seltsam und verwirrend, direkt vorm Kinoeingang im Parkhaus zu stehen und dann nicht zum Kino zu gelangen (denn auf die obere Ebene mit der geöffneten Treppe kam man von da auch nicht, die Treppe war von uns durch ein Gitter getrennt). Also wieder aus dem Parkhaus heraus, um dieses herum gelaufen und dann über eine Nebenstraße doch wieder zurück zum Kino, aber dieses Mal nicht durchs Parkhaus. Wirklich gut für Fußgänger ausgeschildert war es also nicht – aber wahrscheinlich kommt die Betreiberfamilie vom Kino auch immer nur per Auto in ihr Kino und merkt es gar nicht, dass Fußgänger durch die Plakate mit dem Kinonamen direkt ins Parkhaus auf die falsche Ebene geschickt werden?! Jedenfalls für mich als Autist nicht wirklich eine ideale Situation, zwar das Kino sehen zu können, aber aufgrund mangelhafter bzw. fehlerhafter Ausschilderung nicht wirklich zum Eingan“einfach weg zu filtern“g zu kommen, weil man durch Zäune und abgeschlossener Parkhaustüren von diesem getrennt ist.

Kinosaal. Zu sehen das CinePlanet 5 in Bad Segeberg, Saal CP 3 am 03. Oktober beim Film Wochenendrebellen. Relativ grelle rote und blaue Deckenbeleuchtung.
Beleuchtungs-Situation im Kino CinePlanet 5 (Bad Segeberg), Saal CP 3.
Die Deckenbeleuchtung im Kinosaal CP3 war zudem unglaublich grell in roten und blauen Farben, aber ohne dabei wirklich viel Licht zu erzeugen. Und das Licht, was sie erzeugten, war dann eben auch noch eine Mischung aus rot und eben blau – was mich dann doch immer wieder auf meine Hände schauen ließ, die dadurch eine äußerst unnatürliche Farbe aufwiesen. Warum man nicht einfach gedimmte, warmweiße Lichter wie im Holi verwendet, sondern bei der Raumbeleuchtung einen auf Discobeleuchtung machte, entzieht sich mir meiner Kenntnis.
Während der über 15-minütigen Werbepause war direkt über mir (sitzend auf C7 bzw. C6 im Saal CP 3) zudem dann auch noch eine komplette Reihe rotes Licht angeschaltet, was dann doch irgendwie von der Leinwand ablenkte, weil es zwar nicht in direkter Sichtrichtung lag, aber eben doch aus dem Augenwinkel zu sehen war. Während der eigentlichen Vorstellung war diese rote Lichtreihe dann aber zum Glück ausgeschaltet. Allerdings war ich zu dem Zeitpunkt aufgrund der langen Werbepause dann doch schon leicht genervt. Während des Films wurde zudem auch deutlich lauter als im wesentlich volleren Holi mit Popcorn, Getränken und ähnlichem herum hantiert und es verließen während des Films auch einige Personen mit hörbar zurück klappenden Sitz den Saal. Um nach dem Film auf Toilette zu gehen musste man das Kino zuvor verlassen und dann außen am Kino auf der Straße um das Kino herum gehen, und vorne dann durch den Eingang wieder hinein. Ein Verlassen des Kinosaals über den Eingang, durch den man herein kam und wo sich auch die Toilette befand war nicht möglich. Etwas sehr umständlich.

Die Rezension zum Film aus Sicht eines autistischen Fußballfans

Ja, jetzt, wirklich, jetzt beginnt sie doch schon! Ich gehe jetzt mit euch einfach mal ein paar der für mich prägendsten Szenen des Films durch, ohne jedoch zu viel über die eigentliche Handlung zu verraten – denn ihr schaut ihn euch gefälligst an! Einige Themenkomplexe lasse ich hierbei bewusst aus, da sie für mich nicht entscheidende sind (das wird Jason definitiv anders einschätzen).

Visuelle und akkustische Aufbereitung

Zunächst einmal: Jason meinte in einem Interview, er hätte für jede Sekunde des Films einen 90-minütigen Video-Call gehabt, um dezidiert zu beschreiben, wie sich für ihn Situationen mit vielen auf ihn einströmenden Reizen anfühlen. Und selbst wenn es keine 90 Minuten pro Sekunde waren – die dafür eingesetzte Zeit hat sich absolut und eindeutig gelohnt! Ich habe noch keine filmische Umsetzung gesehen, die so nah an dem dran ist, wie ich solche Situationen erlebe. In dieser Hinsicht scheint die Reizverarbeitung von Jason und mir sehr, sehr ähnlich abzulaufen. Die für mich in dieser Hinsicht prägnanteste Stelle im Film ist beim Einlass ins Stadion von Nürnberg, als sie vor der Kassenschlange stehen und die akkustischen und optischen Eindrücke – viele laut gröhlende Fußballfans, die wild durcheinander laufen, dazu grelle Lichtblitze durch einen Kartenscanner und vielerlei weitere Reize – zunächst dazu führen, dass aus diesen einzelnen Reizen letztlich ein großer akkustischer Mischmasch wird – und infolge dessen dann die Lautstärke verschwimmt und in ein dumpfes Dauergeräusch übergeht, wo sich einzelne Geräusche dann nicht mehr voneinander trennen lassen. Dazu dann ein verengter Blickwinkel („Tunnelblick“).

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Die Darstellung von Reizüberflutung ist im Film Wochenendrebellen so dermaßen gut umgesetzt – diese Szene könnte beispielhaft zur neuen Referenz-Szene werden, wenn man Nichtautisten erklären möchte, was eine sensorische Überreizung ist. Ich bin hellauf begeistert! Dieses Video ist übrigens eines der beiden Beispielvideos, die in den ebenfalls sehr guten Schul-Material zum Film eingesetzt werden.
Und diese bei der akkustisch-visuell erreichten Perfektion ist auch der Grund für meinen ganz zu Anfang angesprochenen und durchaus ernst gemeinten Hinweis an Autisten, die sich diesen Film anschauen möchten, für entsprechende Filterung bzw. Kompensation bei sich selbst zu sorgen. Für Nichtautisten braucht es offenbar etwas stärkere Signale, damit die zu ihnen durchdringen (grins), während das für Autisten möglicherweise bereits zu einer Überreizung führen oder zumindest beitragen könnte.

Darstellung von Mobbing-Erfahrungen

Im Film werden auch verschiedene Mobbing-Erfahrungen des Autisten Jason geschildert. In einer dieser Szenen stellen Mitschüler rhetorische Fragen zum Thema Sonnensystem und deren Planeten an Jason, die er jeweils beantwortet und dabei nicht bemerkt, dass es sich lediglich um rhetorische Fragen handelt und die Mitschüler nicht wirklich an deren Beantwortung interessiert sind (also jedenfalls nicht an deren Beantwortung zwecks Wissenserwerb, sondern eben nur zwecks Mobbings). Diese Szene hat bei mir massives Unwohlsein ausgelöst, da ich während meiner Schulzeit (bis etwa zur 7. Klasse) ebenfalls dieser Form des Mobbings ausgesetzt war. Es war mir einfach nicht möglich zu erkennen, wann Mitschüler tatsächlich an meiner Antwort interessiert waren und wann sie mich damit nur aufziehen wollten.
Infolgedessen kommt es am Ende dieser Szene zu einer Aktion seitens Jason, die man als „pädagogisch nicht wertvoll“ bezeichnen könnte (um nicht zu viel zu verraten). Aber ich hätte mir in diesem Moment gewünscht, dass der reale Jason zum damaligen Zeitpunkt gute 30 Kilogramm schwerer gewesen wäre als er es war – und es war mir eine Freude, ihn diese Aktion – auch stellvertretend für mich – ausführen gesehen zu haben. Ich selbst hätte es nicht besser machen können. Aber nein, pädagogisch wertvoll ist diese Szene nicht, lach. Aber es tat gut, sie sich nunmehr zwei mal angesehen zu haben. Aber sie hat mich wirklich lange nach dem ersten Ansehen des Films noch beschäftigt. Ich hatte am Abend, nachdem ich den Film das erste Mal sah, Probleme beim einschlafen, und am nächsten Morgen lag mein Bettlaken auf dem Boden und ich war komplett nass geschwitzt. Ich konnte mich zwar nicht mehr an einen Traum erinnern, aber ich bin mir relativ sicher, dass es diese Szene war, die offenkundig zu einem nicht sehr ruhigen Schlaf bei mir beigetragen hatte. Aber jetzt, wo ich darüber schreibe, habe ich wieder ein breites Grinsen im Gesicht – ich kann Jason so sehr verstehen, dass er zu dieser Reaktion gegriffen hat, wenngleich ich als heute knapp 50-jähriger natürlich weiß, dass es keine angemessene Reaktion war – aber eine gut verständliche. 😉

Bushaltestellen – Szene

In einer Szene ist es für Jason ein Problem, dass eine andere Person auf den Sitzplatz sitzt, an dem er normalerweise sitzt. Das mag für Nicht-Autisten unverständlich sein, warum nun dieser eine Sitz so entscheidend ist – und warum Jason nicht einfach auf den Sitz 30 cm weiter links sitzen kann. Für mich ist das aber nichts, worüber ich mich großartig wundern kann. Ich kenne zwar den genauen Grund von Jason nicht, aber kann diese Szene aus meinem eigenen Erfahrungsschatz dennoch sehr gut nachempfinden: Für mich ist mein genauer Stehplatz im Millerntor-Stadion absolut entscheidend dafür, dass ich dem Fußballspiel folgen kann. Steht da jemand anderes auf „meinem“ Stehplatz (und Stehplätze sind keiner Person fest zugeordnet, im Gegensatz zu Sitzplätzen, das nur als kurzer Hinweis an die nicht so fussballfan-afinen Leser), kann ich im Grunde genommen direkt nach Hause gehen, denn ich werde das anschließende Spiel sowieso nicht so genießen können wie es eigentlich sein sollte. Ganz konkreter und für mich immens wichtiger Grund bzw. Gründe sind die folgenden:

Meine Position in der Südkurve vom Millerntor-Stadion, veranschaulicht anhand einer Miniatur-Version von Stadion und mir.
Mein Standpunkt in der Südkurve im Millerntor-Stadion, hier die im Vereinsmuseum stehende Miniatur-Ausgabe vom Stadion und mir. Mehr dazu durch anklicken des Fotos. Foto: stadionmodellbau-tribian.de
An meinem Stehplatz ist links von mir ein Handlauf. An ungefähr jeder dritten Stufe dieses treppenartigen Handlaufs ist dieser im Boden verankert. An dieser Verankerung in den Boden ist eine Stelle am Handlauf, die ich während des Spiels mit den Fingern umklammern muss. Ich weiß nicht, warum mir das Sicherheit verleiht, das ganze Spiel über diesen Handlauf zu umklammern – aber ich weiß, dass das für mich immens wichtig ist, um dem Spielverlauf wenigstens einigermaßen folgen zu können. Und drei Stufen weiter oben oder drei Stufen weiter unten, wo der Handlauf ebenfalls im Boden verankert ist geht aus anderen Gründen für mich nicht…
Ein weiterer Grund, warum ich ganz genau auf diesem Ort in der Stehplatzkurve stehen muss ist der Umstand, dass nur an dieser Stelle dann rechts von mir ein Wellenbrecher steht. Und dieser sorgt indirekt dafür, dass mich niemand dumm anschaut, wenn ich mich während des Spiels nicht bei meinem Nebenmann unterharken mag, um dann geschlossen nach links oder rechts zu hüpfen. Denn an dieser Stelle kann man wegen dieses rechts neben mir befindlichen Wellenbrechers und dem links neben mir befindlichen Handlauf gar nicht nach links und rechts hüpfen. Und so erwartet dann auch niemand, dass man sich bei jemanden einharkt (und ich hasse Berührungen durch andere Menschen genauso, wie Jason es tut), und ich kann letztlich genauso gut „nur mit mir“ hoch und runter hüpfen. Nur eben, ohne mich bei jemanden einzuharken. Oder übermäßig von anderen Menschen berührt zu werden. Und ja, ich kann auch sehr pöbelnd werden, wenn dann plötzlich jemand auf „meinem“ Stehplatz steht, wo ich sonst immer stehe. Auch das ist ein Grund dafür, dass ich immer versuche, direkt bei Öffnung des Stadions meinen Platz im Stehblock zu betreten – damit da nicht schon jemand steht. Zum Glück wissen aber auch die anderen Leute meist, dass das „mein“ Platz ist, bzw. es sind ja meist doch immer die gleichen Leute, mit denen man zusammen steht – und bei denen klappt es meist problemlos, wenn man sie darum bittet, sich doch bitte eine Stufe tiefer oder höher zu stellen (danke dafür!), damit ich auf „meinen“ Stehplatz kann. Ein weiterer Grund, warum ich immer direkt bei Stadionöffnung ins Stadion hinein gehe, ist der folgende:

Allgemeine Überreizung in alltäglichen Situation

Diese wird beispielsweise anhand einer ebenfalls im Schul-Material vorhandenen Szene dargestellt, bei der Jason auf dem Weg in den Klassenraum erst auf dem Schulhof und später im Gebäude an normalen Situationen vorbei gehen muss, um in den Klassenraum zu gelangen:

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Kann ich so auch komplett nachvollziehen. Mir fallen Kleinigkeiten extrem auf – bei Wegen, die ich täglich zurücklege mitunter einzelne an Ampelmasten klebende Aufkleber, die neu hinzugekommen sind. Und hier auf St. Pauli gibt es an jedem Ampelmast unzählige, ich möchte sagen hunderte Aufkleber. Und ich bin immer ziemlich KO, wenn ich bspw. mit dem Rad vom Einkaufen zurück bin. Nun gut, das mag einerseits an meinem Übergewicht und meiner allgemeinen Unsportlichkeit liegen – aber vor allem liegt das auch an den Einflüssen, die die Umwelt auf mich hat. Der Autoverkehr, die anderen Menschen, die Geräusche, Gerüche und Bilder, die während des einkaufens auf mich einprasseln, und wo es mir nicht möglich ist, sie „einfach weg zu filtern“. Ich nehme alles wahr. Und alles in einer ähnlichen Intensität. Das führt manchmal dazu, dass ich nicht mehr weiter mit dem Rad fahren kann, weil die Gefahr besteht, dass ich Dinge dann eben nicht mehr wahrnehme, weil es zu viele andere Dinge gibt, die ich währenddessen gerade wahrnehme. Ich nehme beispielsweise den piependen Vogel, das rascheln des Laubs und die umherfahrenden Autos wahr – aber nicht mehr den eigentlich viel lauteren, hinter mir mit Martinshorn fahrenden Rettungswagen. Oder das neben mir fahrende Auto. Weil da auch zehn andere Autos um mich herum kurven. Zum Glück merke ich es in der Regel rechtzeitig, wenn dieser Moment einsetzt. Aber ich entwickel mitunter einen Tunnelblick, bei dem ich zwar viele Dinge wahrnehme, aber nicht mehr die in dem Moment wirklich wichtigen davon herausfiltern kann.
Das mag zwar beim Gang durch den Schulkorridor nicht so schlimm sein, aber die Ursache ist dieselbe – Reizüberflutung und die Unmöglichkeit, diese auf einen einströmenden Reize anhand ihrer aktuellen Wichtigkeit voneinander zu trennen und nur noch die wirklich wichtigen wahrzunehmen.

Und hinsichtlich meines Stadionbesuchs: Mir fällt es wesentlich leichter, wenn die Lautstärke und die Menge der optischen Eindrücke im immer voller werdenden Stadion langsam ansteigt, als wenn ich in ein bereits volles Stadion hinein gehen müsste. Dann ist zwar die Länge, der ich diesen Reizen ausgesetzt bin deutlich länger (90 Minuten vor Spielbeginn bis Ende des Spiels), als wenn ich erst kurz vor Spielbeginn rein gehen würde – was auch nicht ganz einfach ist (weil es nicht wirklich einen freien Gang bis zu „meinem“ Stehplatz mehr gibt) – aber richtig problematisch sind plötzlich auf mich einströmende Eindrücke, wenn ich erst kurz vor Spielbeginn von außen ins bereits volle Stadion rein komme.

Diese Problematik der „plötzlich“ einströmenden Reize wird im Film mehrfach gezeigt, wenn ein Tor fällt. Und die Aufbereitung ist ähnlich gut wie die sonstigen Darstellungen umgesetzt.

Und ja, (plötzliche) Eindrücke in einem vollen Stehplatzblock sind – zumindest beim FC St. Pauli – sehr intensiv. Zuletzt waren sie sogar – und das hat sich seit meinem schon anfangs erwähnten „Autistisches Temperaturempfinden, über das Schwitzen und das Alleinsein in einem ausverkauften Fußballstadion„- Artikel beispielsweise seit dem „offiziellen Ende der Corona-Pandemie“ geändert – für mich zu intensiv. Dann muss ich mich an eine ruhigere Ecke in der Südkurve zurück ziehen, weil es im Mittelblock der Fankurve einfach zu laut, zu durcheinander und zu viel von zuviel ist. 😉 Ich glaube, ich habe durch die Corona-Pandemie verlernt, wie ich mit dieser (gewollten) Dauer-Überforderung an Sinneseindrücken umzugehen habe – und trage daher nun seit einigen Spieltagen Gehörschutz bis zum Spielbeginn. Aber anfeuern geht damit nicht, das klingt falsch. Aber dadurch fällt zumindest ein Teil der akkustischen Stadion-Beschallung vor Spielbeginn weg, die bei uns am Millerntor zum Glück nicht ganz so Ballermann-artig ist wie in anderen Stadien. Aber auswärts fahren? Nein, ohne mich. Das „Booooumboooum“ in anderen Stadien tue ich mir nicht mehr an, das ist zuviel für mich. Danke, FC St. Pauli, dass du auch dadurch ein wenig inklusiver bist!

Mirko erzählte nach der Vorführung im Holi vom „legendären Eckball-Elefanten“ beim VfR Aalen, der bei jeder Ecke ein Benjamin Blümchen-artiges Töööörööööh aus den Lautsprechern erschallen ließ – ich hatte das sofort auch wieder in Erinnerung…

Bahn-Bistro-Szene

Die fand ich persönlich etwas zu heftig in der Darstellung von Jason. Andererseits erwähnte er in Interviews immer, die sei in Wirklichkeit deutlich intensiver gewesen – und sei im Film abgeschwächt, damit man nicht sämtliche Symphatien für ihn verlieren würde. Andererseits war sie auch nicht heftiger in Jasons Reaktion als die Szene an der Bushaltestelle – und das ich die nachvollziehen kann und in ähnlichen Situationen auch als Erwachsener ähnlich handeln würde – lasse ich mal mein Urteil hierzu so stehen. Wie gesagt, ich hätte sie nicht in der Intensität spielen lassen, aber das wissen die Personen, um die es in dem Film geht eben besser. 🙂
Mit Essen und wie das zusammen oder getrennt serviert wird hatte ich aber auch nie ein Problem. Außer bei Torten, die müssen grundsätzlich von oben nach unten gegessen werden (also erst der oben befindliche Belag / Zuckerguss / Puderzucker etc., erst dann der Boden. Und sind da Früchte wie Erdbeeren oder Kirschen drauf, werden diese auch einzeln und nacheinander gegessen, nach dem toppenden Belag, aber vor dem Tortenboden. Und selbstverständlich geht das nur vernünftig, wenn das Tortenstück nicht umgeschmissen wurde. 😉

Cameo-Auftritt im Nürnberger Stadion

Wie erklärt man es seinem etwa siebenjährigen Sohn, was die Zuschauer da gerade singen, wenn sie den Schiri als Hurensohn beschimpfen? Nun, im Film wird daraus ein „Schiri – Du Uhrensohn!“, weil der ja schließlich wissen muss, wann abgepfiffen werden muss. Der sich daraus anschließende Dialog zwischen den beiden echten Wochenendrebellen mit ihren schauspielerischen, vor ihnen sitzenden Pendants – großartig. Als der Schauspieler-Mirko zum realen Mirko hinter sich sagte, sein Sohn würde gerade seinen Lieblingsverein suchen, und der echte Mirko dann trocken meint, dass er das kennen würde, das hätte er auch schon durch – ich musste herzhaft lachen. Großartig. Nicht verstanden habe ich, warum nun ausgerechnet ein 2:1 – Sieg bei der Suche des Lieblingsvereins ideal sei (und nicht etwa ein 3:2 oder so), aber egal. Die Szene als solches ist großartig, auch wenn den Witz vermutlich nur diejenigen der Zuschauer erkennen, die die echten Wochenendrebellen eben schon kennen.

Referat-Szene am Ende des Films

Ziemlich am Ende des Films hält Jason vor seiner Klasse ein Referat über seinen Autismus, in dem er seiner Klasse von Dingen erzählt, die er ziemlich gut kann, aber auch von Dingen, die ihm Schwierigkeiten bereiten. Leider wird das im Film selbst nicht weiter ausgeführt, was ich ein wenig schade fand. Was im Film allerdings gezeigt wird, ist das Fazit, was er am Ende des Referats zieht- und das ist mega gewesen! Er bekam dafür nicht nur in seiner Klasse Applaus, sondern diese Szene erntete auch bei den beiden Aufführungen, bei denen ich nun war, jeweils entsprechenden Applaus. Und ich hoffe, das behalten wenigstens einige der Zuschauer auch als Fazit des Films im Gedächtnis, wenn es um den Umgang mit Menschen geht, die „anders“ als sie selbst sind oder „anders“ als es gesellschaftlich „normalerweise“ erwartet wird. Fand ich eine mega Aussage, die mir die Tränen in die Augen trieb – was im übrigen nicht nur bei der Szene der Fall war. Der Film bietet einfach so viel – Humorvolles, Nachdenkliches, aber eben auch extrem starke Statements!

Kleinere Schwächen oder Kritikpunkte beim Film

Jason als Kleinkind, vor bzw. während der Autismus-Diagnose

Zu Beginn des Films, noch vor der Diagnose, werden die Zuschauer in die Thematik eingeführt. Gezeigt wird hierfür – und da dachte ich schon, ich sei im falschen Film, das könne doch nicht sein, dass die beiden das in der Form abgesegnet haben – ein in einer Zimmerecke sitzender Kleinkind-Jason, der nach vorne und hinten wippt. Ja, es mag sein, dass Jason sich als Kleinkind auf diese Weise stimuliert hat – aber jetzt mal ernsthaft, musste es wirklich diese Rainman-artige Darstellung von autistischen Stimming sein? Hätte man da nicht auf eine andere Form des Stimmings zurück greifen können, die weniger Klischee-behaftet ist? Oder hätte man nicht ganz auf so eine Szene verzichten können? Reichte nicht die Darstellung, wie Jason in einer aufgestapelten Holzeisenbahn-Schienen-Landschaft sitzt, wo die einzelnen Elemente (Geraden, Kurven etc.) selbstverständlich fein säuberlich sortiert sind? Zumal es für die weitere Handlung des Films überhaupt nicht erforderlich war, frage ich mich wirklich, wie es dazu kommen konnte, dass man ausgerechnet auf so eine Szene setzt, mit der Leute in der breiten (und zumeist ziemlich uninformierten) Gesellschaft das „typische Verhalten eines Autisten“ assozieren? Echt jetzt – hat mich wahnsinnig aufgeregt. Gerade, weil dieses Klischee ausgerechnet von den beiden so weiter verbreitet wird.

Abspann des Films

Im Abspann des Films werden – dankenswerterweise direkt zu Beginn des Abspanns, bevor die allgemeine Aufbruchsstimmung einsetzt, ein paar kurze Sätze eingeblendet, die nochmal kurz zusammenfassen, was Autismus ist, wie es sich äußert und auch, wie verbreitet Autismus ist. Eine dieser kurzen Aussagen lautet in etwa „Etwa jedes 100. Kind ist Autist“. Da musste ich schlucken, denn das ist eine Aussage, die so auch von den „Autismus-Therapie-Zentren“ kommen könnte, deren Hauptzweck es zu sein scheint, Autisten „gesellschaftsfähig umzuerziehen“ – denn auch diese beschränken ihre Arbeit auf Kinder. Die Sache ist aber – Autismus ist keine Sache nur von Kindern. Es gibt mindestens genauso häufig auch erwachsene Autisten – und viele von denen sind bis heute noch nicht diagnostiziert, weil bis vor einigen Jahrzehnten oft überhaupt nur ein Teilbereich der Autisten als solche diagnostiziert wurden. Hauptsächlich diejenigen, die sich besonders stark „auffällig“ verhielten. Zudem ist es als Erwachsener deutlich schwerer, eine entsprechende Diagnose zu erhalten, weil für eine Diagnose in der Regel insbesondere auch der Zeitraum der frühen Kindheit entscheidend ist – also der Zeitraum, bevor Autisten das kaschieren von „unerwünschten“ Verhaltensweisen gelernt haben. Das ist aber ein Zeitraum, der meist schon sehr lange zurück liegt, und oftmals gibt es auch keine Eltern mehr, die eine Einschätzung abgeben könnten, wie ihr Kind sich in frühen Jahren verhalten hat, bzw. die Erinnerung daran ist verschwommen.

Dann zu schreiben, eines von 100 Kindern hätte Autismus, blendet all die autistischen Erwachsenen einfach mal komplett aus und stellt sie als nicht existent dar. Es mag sein, dass den beiden das deswegen durchgerutscht ist, weil es in dem Film eben um ein autistisches Kind ging – aber die übrigen Aussagen im Abspann waren ziemlich generell auf Autismus gemünzt – da erscheint es seltsam, wenn ausgerechnet diese Aussage dann nicht generell auf Autisten bezogen wird, sondern nur auf diesen einen, der im Film zu sehen war.
Schön fand ich dann übrigens, dass scheinbar wirklich alle am Film beteiligten Personen genannt wurden – inklusive der Hygienebeauftragten bei den Vereinen etc. – also offenbar wirklich alle. Ehre, wem Ehre gebührt oder so. 😉 Angesichts dessen, dass der Film mitten in der Corona-Pandemie, zu Zeiten des Lockdowns, entstand (und erst langsam überhaupt wieder Zuschauer in die Stadien kamen), umso bemerkenswerter, was daraus geworden ist.

Fehlen vom FC St. Pauli

Es tut mir leid, aber diesen Punkt muss ich natürlich als negativen Punkt vom Film nennen. Geht ja gar nicht anders. Zumal eine der Szenen – die Klo-Szene – ja eigentlich im Millerntor-Stadion stattfand, wie man im Wochenendrebellen-Blog ja nachlesen kann. Selbst wenn es die ursprünglichen Pissrinnen-Container nach dem Neubau des Millerntors nicht mehr gibt – dann hätte man sie eben nicht zeigen können. Oder hätte sie rekonstruieren müssen. Aber einfach die Klo-Szene in Riga spielen lassen, dafür im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin zu filmen und dann ein Klo sonstwo zu filmen, wo Mirko dann eins auf die Fresse bekommt (auch das passierte natürlich nicht wirklich im Millerntor) – nein, das war einfach zu viel. Aber immerhin kam der Vorstadt-Verein auch nicht vor, wobei da die Szenerie dann ja doch fast passend hätte sein können. Nein, künstlerische Freiheiten haben da ihre Grenze, wo sie meinen Lieblingsverein betreffen und schlecht dastehen lassen, selbst wenn er im Film nicht explizit genannt wird. Aber mindestens die Leser des Buches wissen, wo sich die Klo-Szene abspielte…

Kritik, dass „wieder mal nur Autismus mit Spezialinteressen“ im Film dargestellt wird

Von anderen gab es vereinzelt die Kritik, dass im Film mal wieder nur Autismus in der Form vorkommt, dass damit direkt wieder ein Spezialinteresse verbunden sei. Das ist sicherlich schade – aber ist hier nun einmal so, weil das reale Vorbild dieses Films eben ein Autist ist, der Astrophysik als Spezialinteresse hat. Das dem Film vorzuwerfen geht also in diesem Punkt leider an der Realität vorbei, denn in diesem Fall war es eben ein Autist mit Spezialinteresse. Man hätte vielleicht im Abspann des Films auch noch erwähnen können, dass nur ein geringer Teil der Autisten überhaupt ein so ausgeprägtes Spezialinteresse hat. Oder Eltern von Autisten ohne Spezialinteresse sollten auch Bücher schreiben, die dann vielleicht entdeckt und verfilmt werden. 😉

Kritik, dass ein Autist durch einen Nicht-Autisten gespielt wird

Dazu haben die Wochenendrebellen kürzlich ausführlich in ihrem Blog was geschrieben, auf das ich hier an dieser Stelle jetzt mal verweisen möchte.

Die Auswahl der Schauspieler

Dazu muss ich nichts weiter sagen, außer: So gut! Und so passend!
Ich glaube, eine bessere Auswahl an Schauspielern hätte man für diesen Film nicht finden können. Ein wenig schade finde ich, dass die Großmutter nur eine vergleichsweise Randrolle spielen durfte – von der hätte ich gerne mehr im Film gesehen als bloß das Holen von Malzbier und das anreichen von Nudeln und Sauce (Edit nach dem dritten ansehen: macht die Mutter) im Zug (dann auch getrennt, und ohne das sie sich berühren!). Der Opa – großartig. Mirko – auch großartig gespielt. Und wie Cecilio Andresen den Jason spielt – absolute Weltklasse! Da gibt es auch nichts negatives zu erwähnen, das passt wirklich.

Und wer soll sich diesen Film nun ansehen?

Kurz gesagt: Alle Personen, die Kinder oder Erwachsene unterrichten. Denn es zeigen sich in den Schulszenen so viele Dinge, die ganz grundsätzlich falsch laufen – und sich durch so kleine Eingriffe und Maßnahmen zum absolut positiven entwickeln können. Und daran anknüpfend: Zeigt den Film euren Klassen, bindet ihn und das Schulmaterial in den Sozialkunde-, Ethik- oder wie auch immer die entsprechenden Fächer heutzutage heißen – Unterricht ein! Das beugt Mobbing vor und schafft Verständnis!
Und Eltern und Geschwister von Autisten! Ihr werdet eure Kinder und Geschwister nach diesem Film so dermaßen besser verstehen können, wenn es darum geht, Verhalten oder Auslöser von „Problemen“ einzuschätzen oder diese zu vermeiden. Für mich ist die Darstellung von autistischen Reizüberflutungen in diesem Film mit das beste, was ich in diesem Bereich bisher gesehen habe. Das ist so nah an dem, wie ich in solchen Situationen empfinde – und angenommen, bei anderen Autisten sieht das ähnlich aus – und zeigt grandios, was Auslöser sein können, wie sich diese auswirken, und wie man sie vielleicht vermeiden oder abschwächen kann.
Und vor allem auch – Autisten! Endlich mal ein Film, der relativ ohne Bedienung von Klischees auskommt, und Autismus beispielhaft an einem einzelnen Autisten darstellt – und zwar, ohne es komplett zu übertreiben. Aber auch, ohne es zu sehr zu beschönigen. Denkt an Selbstvorsorge und schützt euch ggf. vor einem sensorischen Overload. Und fragt in eurem Kino nach einer reizärmeren, autismusfreundlichen Vorstellung – denn die Kinos haben entsprechendes Material dazu erhalten, wie so eine reizreduzierte Kinovorstellung | Sensory Friendly Screening aussehen könnte!
Und Fußballfans! Der Film ist ein Leckerbissen für Fußballfans, auch wenn nicht jeder der 52 Profi-Vereine in Deutschland vorkommt. Aber man kann es einfach genießen – diese Fangesänge, die Hymnen, die Stadion-Athmosphäre – es ist ein Leckerbissen, sich diesen Film im Kino anzuschauen – und vor allem auch anzuhören.
Und Familien! So ganz nebenbei ist das auch ein wunderbarer Familien-Film. Ein Film über Familien, in denen auch mal diskutiert wird – vielleicht auch gestritten wird – aber in dem es letztlich doch immer wieder ein schönes Fazit gibt. Und wie sich der Vater im Laufe der Reisen durch die Stadien dieses Landes immer mehr seinem Sohn annähert – ist einfach schön zu sehen. Manchmal rührseelig und tränen auslösend – manchmal aber auch humorvoll und mit einem breiten Grinsen im Kinosessel sitzend – dieser Film bietet alles, was Familienkino ausmacht – selbst wenn man weder was mit Fußball, noch mit Autismus anzufangen weiß oder keine Berührungspunkte damit hat.
Alle anderen! Und solltet ihr bisher in der Aufzählung noch nicht vorgekommen sein – schaut euch den Film trotzdem an, er ist ganz unabhängig davon ein richtig, richtig guter Film mit hervorragenden Schauspielern und einer unterhaltsamen Handlung, der einem Einblicke in bisher noch nicht bekannte Bereiche der Gesellschaft bietet! Es macht Spaß, diesen Film zu sehen! Gerne auch mehrfach:

Dinge, die mir erst beim zweiten ansehen des Films auffielen

Ich stellte beim zweiten ansehen des Films fest, dass mir irgendwie komplette Dialoge fehlten, und dadurch in sich logische Zusammenhänge für mich beim ersten ansehen nicht logisch waren. Mir war beispielsweise nicht klar, warum die beiden nach der Bistro-Szene plötzlich alleine an irgendeinem Provinz-Bahnhof sassen. Wurde beim zweiten ansehen dann klar. Ich schätze, ich habe beim erstmaligem ansehen der vorhergehenden Szene aufgrund meiner eigenen Überreizung abgeschaltet.
Dafür entdeckte ich beim zweiten ansehen des Films die Schubladen, in der diverse Dinge von Jason über Jahre aufbewahrt wurden (zumindest stand das so im Weblog der beiden). Beispielsweise die vom Schnippinator abgetrennten Haare. Schade, dass es diese Thematik nicht in die Filmhandlung geschafft hat (klar, irgendwas muss wegfallen, wenn man circa 8 Lebensjahre in einen zweistündigen Film packen möchte), aber damit hätte man das Thema Berührungsempfindlichkeit auch nochmal aufzeigen können. Haare schneiden ist mir ein Graus, und so schwanke ich immer zwischen (für mich) sehr lang und extrem kurz – um sie mir möglichst selten selbst schneiden zu müssen – ein „Schnippinator“ lasse ich da schonmal gar nicht ran, diese ständigen Berührungen am Kopf halte ich nicht aus…

Was mir auch nach dem zweiten ansehen des Films noch immer nicht klar ist ist der Umstand, der bei der Klo-Szene eine Rolle spielte (die ja eigentlich im Millerntor-Stadion stattfand – und nein, so schlimm wie im Film sahen unsere Klohäuschen in der Nordkurve nicht aus! Sondern so wie in „Wer sind die Wochenendrebellen“ in der Seitenmitte zu sehenden „Pipigate am Millerntor“-Foto…)

Aber was mir bei der Szene nicht klar ist: Wie schaffen die beiden es am Vorabend ins Stadion an den Mittelkreis? Und wieso brannte da zu dem Zeitpunkt dann schon das Flutlicht? Und wieso wusste Jason auf die Minute genau, wann das Flutlicht ausgeschaltet wird?

Aber vielleicht verstehe ich diese Szene dann ja, wenn ich mir mit meinem Bruder zum dritten Mal Wochenendrebellen ansehen werde. Denn das wird demnächst der Fall sein – ja, ich werde mir diesen Film mindestens noch ein drittes Mal ansehen. Er hat es zum einen verdient, und zum anderen ist er halt wirklich ein sehr, sehr guter Film!

Links

Wochenendrebellen - ab 28. September 2023 in allen Kinos. Zu sehen ist ein Vater und Sohn, die auf dem Rücken liegend auf dem Rasen eines Stadions im Mittelkreis liegen.

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4 Kommentare

  1. […] Wichtig vorab: Kiezkieker und Kiezkicker – nicht verwechseln!Letzterer hat sich nun bereits zum zweiten Mal den Wochenendrebellen-Film angeschaut und berichtet davon mit einer „Filmkritik aus der Sicht eines autistischen Fußballfans“. […]

  2. Katrin
    So., 29. Oktober 2023
    Antworten

    Vielen Dank für diesen Text. Ich habe viele Tränen vergossen. Wunderbar!

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4 Vorstadt 30 55 - 42 13 49 WUWUV
5 Karlsruher SC 30 61 - 45 16 46 WUWUW
6 Hannover 96 30 52 - 38 14 45 UWUUV
7 Hertha BSC Berlin 30 62 - 51 11 44 WUWWV
8 SC Paderborn 07 30 46 - 49 -3 43 VVVUW
9 SpVgg Greuther Fürth 30 40 - 43 -3 42 VUVWV
10 SV 07 Elversberg 30 44 - 52 -8 40 VVUWU
11 1. FC Nürnberg 30 38 - 56 -18 37 VUVVV
12 1. FC Magdeburg 30 42 - 46 -4 36 VVUUW
13 FC Schalke 04 30 46 - 56 -10 36 VUUWU
14 Eintracht Braunschweig 30 33 - 41 -8 34 WWVUW
15 SV Wehen Wiesbaden 30 32 - 41 -9 32 VVVVU
16 F.C. Hansa Rostock 30 27 - 50 -23 31 WVWVV
17 1. FC Kaiserslautern 30 46 - 59 -13 30 UVVVU
18 VfL Osnabrück 30 27 - 60 -33 24 VWWVV